Portrait 1: Manny Ansar – Mali

Heute reist ein musikalisches Werk um die Welt – im Namen des Friedens. Auch ich darf Sie mitnehmen auf eine Friedensreise auf drei Kontinente, in drei kriegsversehrte Regionen, zu drei mutigen Menschen. Ihre Lebensrealitäten könnten unterschiedlicher nicht sein, doch was sie verbindet ist die Sehnsucht, mit Musik ein Zeichen für Frieden zu setzen. Und das verbindet sie auch mit uns, heute, hier.

Manny Ansar

Anfangs 2017 führte mich meine zweite Friedensreportage nach Mali zur Caravane culturelle pour la paix. Die «Kulturkarawane». Was romantisch klingen mag, ist in Realität das Resultat von Terror und Vertreibung: Der Tuareg Manny Ansar hatte jahrelang das international bekannte Festival du Désert mit-geleitet. 2012 wurde das Festival von dschihadistischen Gruppen angegriffen, die Bühne und Instrumente verbrannt und das Leben der Organisatoren bedroht.

Caravane culturelle pour la paix (Kultur-/ Friedenskarawane)

Erschüttert durch die Erfahrungen und getrieben von der Angst, dass das kulturelle Leben Malis vollständig ausgelöscht werden könnte, kehrte Manny aus dem Flüchtlingslager zurück in seine Heimat. Er begann ein neues Kulturformat aufzubauen, die Kulturkarawane. Es ist eine Mischung einerseits aus der alten Tradition umherziehender Nomaden und andererseits heutiger Realität – die Bedrohung durch radikale bewaffnete Gruppen. Dabei reisen Musikerinnen und Musiker verschiedenster malischer Ethnien zusammen zwei Wochen in einem Bus durchs Land und entscheiden sehr kurzfristig, wo das nächste Konzert stattfinden kann, wo es dafür sicher genug ist. Eine Art pop-up Tournee, um zu Frieden, Zusammenhalt und Versöhnung aufzurufen. Dabei wollte ich sie begleiten.

Im Bus

Dieser Plan wurde vom ersten Tag an eine ziemliche Herausforderung. In meiner ersten Zeitungslektüre erfahre ich, dass zwei von mehreren Selbstmordattentätern gefasst werden konnten, die einen Angriff auf das internationale Konferenzzentrum geplant hatten. Also auf den Ort, an dem ich am Folgetag eine Veranstaltung besuchen wollte.

Ich bin angekommen in dem, was man als «fragilen Staat» bezeichnet. Man weiss nie, was als Nächstes passiert. Einschüchterungen, Unsicherheiten und Spaltung der Gesellschaft sind die Hauptziele derjenigen Akteure, die das Land zerstören wollen. Für mich bedeutet dies, immer wieder die Balance zwischen Sicherheit und so etwas wie Vertrauen zu finden. Ich schwanke zwischen der DEZA-Devise: «Nehmen Sie an keinen öffentlichen Veranstaltungen teil und wechseln Sie alle zwei Tage das Hotel.» und dem Tuareg-Ansatz, der sagt: «Ob man stirbt, entscheidet Gott, nicht die Dschihadisten».

Friedenskonferenz

In einem Land, das bekannt ist für Anschläge durch Autominen, reisen wir in einem nie bewachten Bus. In Gebieten, wo Musik verboten ist, erscheinen wir mit Musikern und Instrumenten. An Orten, wo Friedensaktivitäten verfolgt werden, organisieren wir eine Friedenskonferenz, schwingen Friedensbanner und die Bands singen Lieder für den Frieden. Bei nichts von alledem gibt es Sicherheitsvorkehrungen oder Eingangskontrollen. Die Caravane ist eine wandelnde Zielscheibe.

Festival Segou

Beim Führen von Gesprächen fühle ich mich wie auf einem Minenfeld. Die Menschen haben zu viel Leid erlebt, das jeden Moment hervorbrechen kann. Gräuel, die ich mir nicht vorstellen, die ich nicht in Worte fassen kann.

Mali fordert mich heraus: Wie spricht man über Frieden, ohne Gewalt und Schmerz zu vergrössern? Welche Geschichten kann ich mit der Welt teilen, ohne zur Normalisierung von Gewalt beizutragen? Wann ist Gewalt Treiberin neuer Gewalt? Und wann ein Grund, um nach Frieden zu streben?

Gleichzeitig wird Mali für mich zum Kraftort. Ich darf miterleben, wie Menschen, die Gewalt und Vertreibung erfahren haben und immer wieder aufs Neue bedroht werden, sich unerschütterlich für Frieden einsetzen. Wie sie die Kraft finden, dann, wenn etwas nicht zu ändern ist, sich neu zu erfinden, dann aber, wenn es um ihre Werte – ihren Friedenswillen geht – standzuhalten. Und wie sie mit innerer Überzeugung und äusserer Tatkraft dafür kämpfen, dass das Land sich aus den Fängen der Gewalt befreien kann – koste es, was es wolle.

Bilder: Lea Suter